Einführung
Wie liest man einen Brand?

Ob absichtlich gelegt oder als Folge eines technischen Defekts, Feuer sind ein allgegenwärtiges und wiederkehrendes Phänomen in Geflüchtetenlagern und Wohnhäusern migrantischer und postmigrantischer Gemeinschaften. Feuer lässt sich dabei nicht nur als Waffe von Rechten, sondern auch als Mittel von Geflüchteten gegen die Prekarität lesen, die ihnen durch Gesetze und Politiken auferlegt werden. Das strukturelle Feuer, ein bis heute wenig betrachtetes Phänomen, das ‘unbeabsichtigt’ durch Kabelbrände oder fehlerhafte Technik entsteht, kann als Symbol für den stetigen Zustand der Vulnerabilität gelesen werden, in dem sich Geflüchtete befinden.

Der Vergleich der verschiedenen Brandformen soll in keiner Weise die Schwere rechter Brandanschläge relativieren. Die Brandmuster, die Feuer hinterlassen, werden vielmehr zu immateriellen Zeuginnen eines weitaus größeren Systems struktureller Ungerechtigkeit und Gewalt gegen migrantische und postmigrantische Personen in Deutschland. Die Politiken, Bürokratien und Gesetze des deutschen Migrationsregimes und ihre räumlichen Ausprägungen stehen dabei im Mittelpunkt einer historischen Politik der Abschreckung und Marginalisierung, die den Grundstein für ein ‘deutsches Wir’ und ein ‘migrantisches Anderes’ legen.

Drei Brandkapitel sollen dazu dienen, Brandereignisse in einem umfassenderen politischen, gesetzlichen und gesellschaftlichen Kontext zu betrachten und u.a. folgende Fragen zu beleuchten:

In welchem Maße tragen auch Politiker*innen und Journalist*innen durch ihre Reichweite zur öffentlichen Meinungsbildung und darüber hinaus zu einem Brandanschlag von außen bei? Welche Rolle spielen Helmut Kohl und seine Partei-Kolleg*innen in der gewaltvollen linken Eskalation Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre? Warum entzündet ein*e Bewohner*in die eigene Matratze? Was hat das Asylbewerberleistungsgesetz von 1993 beispielsweise mit einem Brand durch Bewohner*innen in Kleinaitingen 2003 zu tun? Und, inwiefern kann und muss ein Feuer durch technischen Defekt über den ‘Unfall’ hinaus neu diskutiert werden?

Brandakte I
Feuer als Waffe –
Brandanschläge von außen

Zwischen 1980 und 2024 kommen bei Brandanschlägen von außen 104 Menschen ums Leben. Brandanschläge stellen dabei nur eine neben zahlreichen anderen Formen rechter Gewalt dar, die sich gegen migrantische und postmigrantische Personen richtet.

Duisburg-Wanheimerort
und die Politik der Abschreckung

In Duisburg-Wanheimerort sterben am 26. August 1984 zwei Erwachsene und sieben Kinder bei einem Brandanschlag auf ein hauptsächlich von ‘Gastarbeitern’ und deren Familien bewohntes Haus:

Döndü Satır (40 Jahre), Zeliha Turhan (18 Jahre), Rasim Turhan (15 Jahre), Tarık Turhan (50 Tage), Çiğdem Satır (7 Jahre), Ümit Satır (5 Jahre) und Songül Satır (4 Jahre).

Der Täterin wird trotz mehrerer Brandanschläge gegen Geflüchtetenunterkünfte ihr rechtes Tatmotiv abgesprochen. Sie wird vom Gericht der Pyromanie beschuldigt und in eine psychologische Einrichtung überwiesen, wo sie 2010 stirbt. Der Fall ist bis heute nicht als rechter Mord eingestuft.

Der Anschlag in Duisburg lässt sich nicht ohne den Rassismus gegen Menschen mit türkischer Migrationsbiographie lesen, der ab den 1970ern durch Politiker*innen und Medieninstitutionen immer mehr an Salonfähigkeit gewinnt. Ramazan Satir, der Vater und Ehemann der verstorbenen Personen aus Duisburg, kommt 1973 über Anwerbeabkommen nach Deutschland, die Ost- und Westdeutschland zwischen 1955 und 1986 mit Ländern wie der Türkei, Marokko, Vietnam, Italien und vielen anderen schließt. Angestellt im Niedriglohnsektor, tragen ‘Gastarbeiter’ bzw. Arbeitsmigrant*innen maßgeblich zum sogenannten deutschen Wirtschaftswunder bei. Mit der Ölkrise 1973 und infolge steigender Arbeitslosigkeit werden in Westdeutschland die Abkommen mit anderen Ländern gestoppt. Die Migration steigt dennoch aufgrund verschiedener internationaler Krisen, wie beispielsweise dem Militärputsch in der Türkei 1980. Polemisiert wird die steigende Migration durch Medienhäuser wie der Spiegel. Mit provokanten Titelblättern und Schlagzeilen wie “Ghettos in Deutschland – Eine Million Türken” oder “Grenzen dicht für Ausländer” reproduzieren sie den fremdenfeindlichen Tenor der Politik.

Wie Franka Maubach prägnant formuliert, lässt sich der Zeitraum Ende 1970 und Anfang 1980 als “Zäsur in der Rassismusgeschichte der Bundesrepublik” verstehen, in der mit “Zuzugsbeschränkungs-, Rückführungs- oder gar Ausweisungspolitik experimentiert” wird. Mit dem Asylverfahrensgesetz im Jahr 1982 beispielsweise werden Asylsuchende drastisch in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und sukzessive aus der Gesellschaft exkludiert. So müssen sie sich in der Nähe der Ausländerbehörde aufhalten, bekommen statt Geld Sachleistungen zur Verfügung gestellt und müssen den ersten Abschnitt ihres Asylverfahrens in Geflüchtetenlagern verbringen. Dabei sind die Gesetzesänderungen nicht primär zur Organisation von Migration gedacht. Wie viele Politiker*innen zu dieser Zeit offen zugeben, geht es bei den restriktiven Gesetzen um Abschreckung. Der amtierende Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) untermauert den politischen Kurs mit der Aussage, Deutschland sei kein Einwanderungsland.

Lampertheim
und die Baseballschlägerjahre

“Drei Menschen in Asylanten-Heim verbrannt” titelt der Mannheimer Morgen am 2. Februar 1992. In der Nacht auf den 31. Januar 1992 kommt eine sri-lankische Familie in Folge einer Brandstiftung ums Leben. Ihre Namen sind bis heute unbekannt. Es ist der siebte Brandanschlag in einem Monat. Wegen “Brandstiftung aus Doofheit” (wie der Staatsanwalt Georg Nauth die Brandtat nennt) kommen drei Jugendliche vor Gericht. Trotz rechtsextremer Aktivitäten in Lampertheims Umgebung und mehreren Brandanschlägen vor dem 31. Januar beteuert Nauth in einem Interview, dass die Tat eine ”Blödelei” war, es sich demnach “nicht um Rechtsextremisten handelt”.

Nach eigenen Aussagen wollen die drei Täter um 3 Uhr morgens stark alkoholisiert einen Bekannten in der Geflüchtetenunterkunft in Lampertheim besuchen. Als dieser nicht anzutreffen ist, kommt einer der Täter auf die Idee, die Unterkunft aus ‘Jux’ anzuzünden. Am selben Abend zuvor zündet einer der Täter aus Lampertheim in einer weiteren Geflüchtetenunterkunft in Biblis (14.10.1994) ein Stück Tapete an, da ihn ein befreundeter deutscher Bewohner der Unterkunft nicht in sein Zimmer lässt. Der Gerichtsmediziner analysiert nach Aussagen der Täter eine Promillezahl zwischen 2,5 und 5,9. “Ein unglaubwürdiges Zahlenspiel”, denn die Täter waren noch in der Lage Auto zu fahren und konnten sich scheinbar klar an Details des Tathergangs erinnern. Zumal bei einer Promille ab 2,0 das sog. Betäubungsstadium mit Störung des Gedächtnisses und der Orientierung einsetzt und ab 3,5 akute Lebensgefahr besteht.

Mit “Gefährliche Kombination aus Frust und Alkohol” beschreibt der Südhessen Morgen am 19. Oktober 1994 das Ende der Gerichtsverhandlungen. Die Täter werden zu Haftstrafen nach Jugendstrafrecht verurteilt. Die Tat gilt bis heute jedoch nicht als rechter Mord. 1994 fordert der südhessische Landkreis Bergstraße in einem offiziellen Schreiben die sri-lankische Botschaft dazu auf, für die Sozialhilfe und Beerdigungskosten aufzukommen, die der Landkreis für die verstorbene Familie aufgebracht hat. Mit Akribie errechnet der SPD-Landrat Heinz Fraas eine Summe von 24.017,26 DM. Dem Spiegel-Artikel zu Folge wird der offene Betrag durch ein Sparkonto der sri-lankischen Familie getilgt, das nach dem Tod entdeckt wurde. Damit muss die Familie posthum für ihr Leben in Deutschland und ihren eigenen Tod bezahlen. Fraas rechtfertigt sein Kalkül folgendermaßen: "Wir sind nicht dafür verantwortlich, wenn Kriminelle ein Haus anzünden".

Der Brandanschlag in Lampertheim ist Teil der “Baseballschlägerjahre”, einem Jahrzehnt der ausartenden rechten Gewalt. Mit dem Anstieg der Migration Ende der 1980er Jahre verschärft sich der Diskurs über die Einschränkung des Asylrechts. Die CDU unter Helmut Kohl wettert mit polemischen Schlagwörtern wie “Asylmissbrauch” und “Scheinasylanten” gegen Migrant*innen. Medien wie Spiegel und Bild untermauern den Diskurs durch eine Bild- und Textpolitik der Anonymisierung von Migrant*innen. Dabei spielt auch die rhetorische Konstruktion von Geflüchteten eine essentielle Rolle. Während Migrant*innen aus osteuropäischen Ländern als ‘Flüchtlinge’ bezeichnet werden, etabliert sich das Wort ‘Asylant’ für Geflüchtete aus außereuropäischen Ländern und wird zum Kampfbegriff einer fremdenfeindlichen Migrations-Debatte. Nach langem Schlagabtausch zwischen SPD und CDU wird 1992 der sogenannte Asylkompromiss implementiert, der das Grundrecht auf Asyl, das nach dem Zweiten Weltkrieg als Reaktion auf die Diaspora von Minderheiten während des Dritten Reichs eingeführt wurde, drastisch beschneidet.

Altena
und der Sommer der Migration

Am 03. Oktober 2015 legen zwei Männer in einem von syrischen Geflüchteten bewohnten Haus einen Brand. Ein Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr und sein Freund kappen das Kabel für den Feueralarm an der Hauswand, brechen durch den Keller in das Wohnhaus ein, verschütten Brandbeschleuniger auf dem Dachstuhl und zünden ihn an. Die Begründung der zwei Täter für den Anschlag ist: “Verärgerung über den Einzug von Flüchtlingen in das Wohnobjekt”. Der Staatsanwalt spricht von einem ‘persönlichen’ und keinem fremdenfeindlichen Motiv, was im Kontext des drastischen Anstiegs an rechter Gewalt gegen Geflüchtete im August 2015 zu einer scharfen Kritik durch Politiker*innen führt. Denn seit 2015 gilt für politisch motivierte Straftaten aus “rassistischen, fremdenfeindlichen und sonstigen menschenverachtenden Zielen” ein höheres Strafurteil. Weiterhin werden zwei Polizisten einem Disziplinarverfahren unterzogen, da sie rechte Inhalte der Täter in Chatgruppen und sozialen Medien scheinbar ‘übersehen’ haben.

Der Sommer der Migration 2015 und die darauffolgenden zwei Jahre sind geprägt von einem dramatischen Anstieg rechter Gewalt. Die brennende Geflüchtetenunterkunft in Weissach ruft dabei schmerzliche Erinnerungen an die Pogrome von Rostock-Lichtenhagen oder die Morde in Solingen und Mölln hervor. Während sich selbst Politiker*innen der konservativen CDU für mehr Solidarität gegenüber Geflüchteten aussprechen, formiert sich eine neue Opposition. Mit der im Oktober 2014 gegründeten Pegida und der mittlerweile vom Verfassungsschutz in Teilen als rechtsextremen eingestuften Alternative für Deutschland (AfD), erhalten migrationskritische Stimmen wieder starken Aufwind. Auch alte Narrative des “Asylmissbrauchs” erleben ihr Comeback.

"Von Brandreden
zu Brandsätzen"

Die drei Fälle Duisburg, Lampertheim und Altena verdeutlichen, dass sich rechte Brandanschläge wie andere Formen rechter Gewalt nicht unabhängig vom politischen, medialen und gesellschaftlichen Klima lesen lassen. Wie Susanne Hennig-Welsow 2015 prägnagnt formulierte: „Ein Brandanschlag auf ein bewohntes Haus, ist der Versuch zu morden. Die Brandreden werden zunehmend sichtbar zu Brandsätzen“.

Das Feuer wird hier zur Waffe gegen ein Bild des “Fremden”, das beständig durch Politik, Medien und rechte Akteur*innen genährt wird. Machten konservative Politiker der Mitte, die rechte Gewalt in den 80ern und 90ern salonfähig, waren es 2015, 2016 und 2017 die rechte Opposition aus AfD, Pegida, konservativen Politiker*innen und anderen Splittergruppen, die Täter*innen aus der Mitte der Gesellschaft zur Selbstjustiz gegen Geflüchtete motivierten. In den drei gezeigten Fällen wird sichtbar, dass rechte Gewalt durch dritte Parteien, wie Polizist*innen, Rechtsanwält*innen, Politiker*innen und Journalist*innen immer wieder bagatellisiert wurde. Das Ausmaß der Unschärfe rechter Gewalt gegen Geflüchtete wird durch die offizielle Dokumentation rechter Straftaten durch das Bundeskriminalamt (BKA) deutlich. Zwischen 1990 und 2020 bspw. dokumentierten Statistiken des BKA 109 Todesfälle durch rechte Gewalt, unabhängige Monitorings der Zeitungen Tagesspiegel und Zeit auf der anderen Seite sammelten 187 Fälle, darunter vier vom BKA nicht gelistete Brandanschläge, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von rechten Täter*innen begangen wurden. Weiterhin erfasste die Taz für das Jahr 2015 122 Brandanschläge gegen Geflüchtetenunterkünfte. Die offizielle Kriminalstatistik sprach jedoch nur von 76 Brandstiftungen von rechts. Weitere 18 Brände in Geflüchtetenunterkünften wurden vom BKA anderen Motiven zugeordnet.

Brandakte II
Das Feuer als Ausdruck der Prekarität –
Brandstiftungen von innen

Auch wenn bei Weitem nicht vergleichbar mit Brandanschlägen, kommt es in Deutschland immer wieder zu Fällen von Brandstiftungen durch Bewohner*innen. Wichtig an dieser Stelle ist es, auf die Unterscheidung der Begriffe Brandanschlag und Brandstiftung zu verweisen. Während ersterem, wie im Wort enthalten die Absicht eines Anschlags inhärent ist und in diesem Kontext charakteristisch von außen verübt wird, ist das Motiv der Brandstiftung von innen weitaus komplexer. Dabei richtet sich der Brand nicht immer nur gegen den oder die Brandstifter*in selbst, sondern kann auch als Zeichen des Protests gelesen werden. Externe Brandanschläge erhalten häufig intensive mediale Aufmerksamkeit. Die Analyse von internen Brandstiftungen auf der anderen Seite wird von Medieninstitutionen und Politiker*innen oft übergangen. Ein Vakuum, das 2015 und 2016 bspw. von rechten Stimmen gefüllt wurde, die erklärten, dass Bewohner*innen von Geflüchtetenunterkünften selbst am häufigsten Brandstiftungen legen. Eine unabhängige Untersuchung von INURI widerlegt diese Behauptung jedoch – in diesem Zeitraum waren doppelt so viele mutwillige Inbrandsetzungen durch Täter*innen von außen zu verzeichnen.

Abseits divergierender Deutungsmuster, lässt sich die Brandlegung durch Bewohner*innen in ihrem politischen Charakter lesen. Zwei Brandmuster kristallisieren sich bei der Betrachtung von internen Brandstiftungen heraus: Zum einen stellen Brände in bestimmten Fällen eine Form des Widerstands gegen das System der Unterbringung und Prekarisierung dar, dem Geflüchtete unterworfen sind; Zum anderen sind Brandstiftung oft als ‘Akt der Verzweiflung’ zu verstehen, der auf das weitaus größere Problem unzureichender medizinischer und psychologischer Unterstützungsstrukturen durch den Staat hinweist.

Kleinaitingen
oder die Brandstiftung als Form migrantischen Widerstandes

Am 19. Februar 2003 legen Bewohner*innen der Geflüchtetenunterkunft in Kleinaitingen einen Brand, um gegen die räumliche Isolation ihrer Unterkunft zu protestieren. Die Kleinstadt liegt 20 Kilometer vor Augsburg, flankiert von einem Meer aus landwirtschaftlich genutzten Feldern und einer Bundesstraße. Aufgrund der Residenzpflicht wird eine Genehmigung der Ausländerbehörde benötigt, um die benachbarte Stadt zu besuchen.

30 Container in der Siedlung brennen am 19. Februar vollständig aus. Einen Tag zuvor war bereits ein Brand in der Unterkunft ausgebrochen, eine Woche zuvor verweigerten fast alle Bewohner*innen ihre Essenspakete und gingen aus Protest in den Hungerstreik.

Acht Monate später, im Oktober 2003 kommen zwei ehemalige Bewohner vor Gericht. Einer der beiden Angeklagten wird wegen besonders schwerer Brandstiftung zu sechs Jahren Haft verurteilt.

Die gesetzlichen Einschränkungen, wie die im Jahre 1982 eingeführte Residenzpflicht (im Rahmen des Asylverfahrensgesetzes) oder Arbeitsverbote von 1980 und 1981, mit denen sich Menschen im Asylprozess konfrontiert sehen, führen immer wieder zu Protest. 1994 bspw. gründet sich das ‘Voice Refugee Forum’ (ursprünglich ‘Voice Africa Forum’) als eine von mehreren selbstorganisierten Geflüchteten-Gruppen, die sich politisch gegen das deutsche Lagersystem einsetzen.

Anfang September 2012 brechen Geflüchtete zu einem Protestmarsch von Würzburg nach Berlin auf, um gegen die Residenzpflicht, Abschiebungen und für die Schließung von Geflüchtetenlagern und bessere Lebensbedingungen für Geflüchtete zu protestieren. Vorangegangen war der Suizid von Mohammad R., der sich in einer bayerischen Geflüchtetenunterkunft das Leben nahm.

Weitere Proteste und Hungerstreiks folgen in München, Hannover, Hermsdorf, und vielen weiteren Städten. Deutschlands migrantische und postmigrantische Gesellschaft ist geprägt von einer langen Geschichte des politischen Widerstands gegen staatliche Repressionen gegenüber Geflüchteten, in die sich auch Brandstiftungen von innen verorten lassen. Das Mittel der Brandstiftung ist jedoch keineswegs beschränkt auf seinen expliziten Protestcharakter. Brandstiftungen sind nicht selten auch ein Ausdruck von Traumata und psychischen Erkrankungen der Bewohner*innen.

Weitere Proteste und Hungerstreiks folgen in München, Hannover, Hermsdorf, und vielen weiteren Städten. Deutschlands migrantische und postmigrantische Gesellschaft ist geprägt von einer langen Geschichte des politischen Widerstands gegen staatliche Repressionen gegenüber Geflüchteten, in die sich auch Brandstiftungen von innen verorten lassen. Das Mittel der Brandstiftung ist jedoch keineswegs beschränkt auf seinen expliziten Protestcharakter. Brandstiftungen sind nicht selten auch ein Ausdruck von Traumata und psychischen Erkrankungen der Bewohner*innen.

Münster
oder die chronische Unterversorgung psychologischer Unterstützung

“Ich wollte alles zerstören und auch selbst mit verbrennen".

Das Geständnis eines libanesischen Geflüchteten vor dem Landgericht Münster untermalt den Zustand seiner Verzweiflung. Am 27. Mai 2004 hatte er versucht, durch das Entfachen eines Feuers Selbstmord zu begehen. Seit Jahren litt der Mann bereits unter einer schweren Psychose, doch erst nach dem Vorfall beschloss das Gericht eine Überweisung in eine psychiatrische Einrichtung.

Viele weitere Fälle von Brandstiftungen durch Bewohner*innen erzählen ähnliche Geschichten. Am 8. Juni 2005 bspw. schließt sich ein Bewohner der Geflüchtetenunterkunft in Weferlingen in seinem Zimmer ein und legt einen Brand. Er kommt mit einer Rauchgasvergiftung ins Krankenhaus. Die Brandstiftung wird als Verzweiflungstat eingeschätzt. Im Januar 2006 wird auch er nach der Tat in eine psychiatrische Klinik eingewiesen.

Brandstiftungen von innen lassen sich demnach nicht allein auf ihr individuelles Tatmotiv reduzieren, sondern stehen hier in einem umfassenderen Kontext systemischen Versagens medizinischer und psychologischer Versorgung von Geflüchteten. Das Asylbewerberleistungsgesetz von 1993, eingeführt durch den damaligen Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU), stellt den politischen Ursprung chronischer Unterversorgung dar.

Durch das Gesetz haben Schutzsuchende und Geduldete keinen Zugang mehr zum regulären Krankenversicherungssystem, wie das Recherche-Kollektiv Correctiv in einem umfassenden Beitrag zu psychischen Erkrankungen von Geflüchteten erklärt. Behandlungen müssen aufwändig beantragt werden. Gerade der zermürbende, oft langwierige und undurchsichtige Asylprozess sowie die räumliche Isolation in Unterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen können maßgeblich zur Verschlimmerung von Traumata beitragen.

Brandstiftung sollte daher nicht als ein von den Medien teilweise entpolitisiertes Phänomen gelesen werden, sondern vielmehr als ein impliziter oder expliziter politischer Akt des Widerstands gegen ein System, das Geflüchtete durch Bürokratie und Gesetzgebung marginalisiert und ihrer Handlungsmöglichkeiten beraubt.

Brandakte III
Das Feuer als struktureller Brand –
Brände durch technische Defekte

Apolda, Leipzig
und der Brand als ‘Unfall’

In den frühen Morgenstunden des 4. Juni 2023, erstickt ein 8-jähriger ukrainischer Junge in den Flammen einer Geflüchtetenunterkunft in Apolda. Während Medienhäuser und Politiker*innen eine schnellstmögliche Aufklärung verlangen und ein möglicher Brandanschlag die Politik und Gesellschaft in Atem hält, kristallisiert sich heraus, dass der Brand durch einen technischen Defekt verursacht wurde. Der verstorbene Junge verlässt mit der gleichen Geschwindigkeit die Schlagzeilen, wie er sie betreten hat.

Am 11. Juli 2015 bricht in der Geflüchtetenunterkunft in der Torgauer Straße in Leipzig ein Feuer aus, auch hier ist der Grund ein technischer Defekt. Alle Bewohner*innen können sich glücklicherweise rechtzeitig ins Freie retten. Ursprünglich sollten die beiden Plattenbauten bereits 2014 aufgrund ihres maroden Zustands abgerissen werden. Angesichts der steigenden Zahlen von Geflüchteten im Sommer 2015 entschied sich die Stadt Leipzig jedoch dagegen. Die Gebäude werden daraufhin notdürftig hergerichtet, die Aufnahmekapazität von 300 auf 500 Menschen erhöht. Die Umbauarbeiten ziehen sich bis 2016 hin, wodurch die Bewohner*innen weiterhin in den desolaten Verhältnissen leben müssen, was erhebliche Kritik hervorruft. Die Sanitäranlagen befinden sich in einem katastrophalen Zustand, in den Zimmern gibt es Ungeziefer und der Brandschutz ist ungenügend.

Zwischen 1980 und 2024 kommt es zu insgesamt 39 Bränden durch technische Defekte mit 4 Todesfällen und 95 Verletzten in Geflüchtetenunterkünften und Wohnhäusern migrantischer communities.

Technische Defekte sind “Unfälle”, eine direkte oder lineare Kausalität zu einem oder einer Täter*in lässt sich demnach nicht definieren. Feuer werden durch veraltete Technik, Fehlinstallationen oder falsche Nutzung verursacht. Wird von Brandgutachter*innen ein Anschlag von außen oder innen ausgeschlossen, scheint die Medienlandschaft zu verstummen und ihr Interesse an dem Brand zu verlieren.

Wie der Großbrand des Grenfell-Towers in London schmerzlich verdeutlicht hat, sollte das Feuer nicht als “bedauerlicher Unfall, sondern als ein vorhersehbares Ergebnis unterschiedlicher Formen von Vernachlässigung, Gewalt und struktureller Ungleichheit” gesehen werden. Am 14. Juni 2017 brach in den frühen Morgenstunden in North Kensington, London ein Hochhaus in Flammen aus, bei dem 72 Menschen ums Leben kamen. Der Grund für die schnelle Feuerentwicklung war die Fassadenbekleidung, die wie Brandbeschleuniger wirkte.

Auch wenn sich der dramatische Umfang dieses Brandereignisses nicht in gleichem Maße in Deutschland finden lässt, verdeutlicht er dennoch, dass sich auch ‘unbeabsichtigte’ Brände in einen größeren Kontext struktureller Vernachlässigung stellen lassen. Welche Rolle tragen demnach städtische Behörden in der Umnutzung von Sonderbauten zu Geflüchtetenunterkünften (Typologien die zumeist nicht für diesen Zweck erbaut wurden) oder die bundesdeutsche Sparpolitik, die Kommunen finanziell in der Versorgung von Geflüchteten in Misslagen bringt?

Ein Brand durch technischen Defekt ist dementsprechend nicht allein als tragischer Unfall zu betrachten, sondern genauso im Kontext seiner äußeren Umstände struktureller Vernachlässigung zu lesen, die unter anderem von Seiten der Politik und zuständigen Behörden entstehen. Der ‘strukturelle’ Brand steht darüber hinaus sinnbildlich für die Verwundbarkeit und den Verlust von Selbstbestimmtheit.